WIR-KWT-ERÖFFNUNGSREDE von RAINER FRIEDL

zum Nachlesen…

Ein Wunder, ein Märchen und eine Vision.

Das Wunder, das ist die Kunstwerkstatt selbst. Weil sie es geschafft hat, zu überleben, weil sie so lange ausgehalten hat – es sind mittlerweile 24 Jahre – und weil sie noch immer lebt. Bestes Beispiel dafür ist die Ausstellung „WIR-KWT“, die von aktiven MitarbeiterInnen der Kunstwerkstatt gestaltet wurde. Sie alle sind selbst Kunstschaffende und Ihnen gebührt ein kräftiges Danke und eine Gratulation – stellvertretend für alle, die in der KWT in diesen vielen Jahren gearbeitet haben.

Doch jetzt zum Märchen:
Es war einmal…. so beginnen viele Märchen, wie wir gelernt haben…. es war einmal eine geschäftige Stadt an einem großen Fluss, umgeben von Auen und Wäldern. Mit ein paar wenigen alten Bauwerken, die gehegt und gepflegt wurden. Schließlich tat man ja etwas für die Kultur.

In gelehrten Büchern wurde die Stadt immer mit einem weithin bekannten Namen in Verbindung gebracht. Die Stadt erwies sich ihres Erbes auch würdig und widmete dem großen Namen ein eigenes Museum. Schließlich tat man ja etwas für die Kultur.

Die Stadtväter steckten viel Geld in die Behübschung der Stadt und schließlich bewarb man sich sogar darum, Hauptstadt zu werden. Was bekanntermaßen scheiterte. Aber vielleicht zum Ausgleich dafür wurde die Stadt dann zum Veranstaltungsort einer großen Gartenschau erwählt. Die Gärtner waren sehr erfreut, die Wirtsleute zählten viele neue Gäste und alle waren glücklich und zufrieden und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute…

Vielleicht haben Sie die Stadt erkannt.

Aber vielleicht täuscht der erste Eindruck auch.

Denn die Stadt, die ich meine, liegt in Deutschland und heißt Kassel. Der große Fluss ist die Fulda, der große Name die Brüder Grimm, die einige Jahre in Kassel arbeiteten – deswegen auch die Märchenassoziation.

Das Märchen von Kassel ist da aber nicht zu Ende, sondern beginnt erst mit der Bundesgartenschau in den 50er Jahren. Als eine Art Rahmenprogramm setze damals ein Kunstprofessor und Designer die Idee einer Kunstausstellung durch. Das war die erste documenta mit rund 130.000 Besuchern. Mittlerweile ist die documenta zur weltweit wichtigsten Ausstellung zeitgenössischer Kunst geworden und hat auch das Bild von Kassel geprägt.

Warum erzähle ich das? Vielleicht wegen möglicher Parallelen zwischen Kassel und Tulln? Sicher unter dem Eindruck der jüngsten documenta, die wir gerade besucht haben. Und vor allem darum, weil sich Tulln von Kassel möglicherweise einiges abschauen könnte. Denn die spannendsten Beiträge der documenta, die waren auch heuer nicht in den großen Museumsgebäuden und Ausstellungshallen zu finden, sondern in der Stadt. In leerstehenden Häusern, ehemaligen Geschäftslokalen und Fabriksgebäuden.

Und jetzt bin ich bei der versprochenen Vision, Einer Vision für Tulln, der ich mich mit ein paar Fragen annähern möchte.

Was wäre wenn die Stadt Tulln sich ihrer Kunstschaffenden besinnt, solange sie noch leben….

Was wäre, wenn einander Politiker und Kulturschaffende auf Augenhöhe begegnen, um einmal gemeinsam über die Zukunft unserer Stadt nachzudenken? Und damit auch über deren Aussehen und ihre Gestaltung?

Was wäre wenn sich Tulln zum Ziel macht, ein Zentrum für zeitgenössische Kunst in Niederösterreich zu werden…

Was wäre, wenn aus leerstehenden Geschäftslokalen Ateliers oder Galerien würden …. wenn sich herumspricht, dass Tulln eine Stadt ist, in der man nicht bloß gut einkaufen, flanieren und essen kann, sondern auch zeitgenössische Kunst erleben kann….. wenn die lokale Wirtschaft dann erkennt, dass sich Frequenz auch in Umsatz niederschlägt…

Was wäre wenn die Stadt einmal im Jahr eine Reihe von Künstlern – etwa Bildhauer – einlädt, hier einen Monat zu arbeiten und damit ihre Spuren im Stadtbild zu hinterlassen… was gäbe das nicht für herrliche Diskussionen in der Stadt und darüber hinaus…

Natürlich höre ich jetzt schon die Stimmen der Berufs-Skeptiker, die sagen: „Das wird nie was“. Die Stimmen mancher Politiker, die sagen, das können wir uns nicht leisten. Die Stimmen anderer Politiker, die sagen: Mit Künstlern diskutieren? Das tun wir uns nicht an. Und vielleicht auch die Stimmen mancher Künstler, die sagen, sie lassen sich nicht instrumentalisieren.

Trotzdem glaube ich, dass Tulln beste Voraussetzungen dafür hat, sich zu einem hot spot der zeitgenössischen Kunst zu entwickeln. Nicht durch den Bau neuer Museen, sondern durch die Nutzung dessen, was schon da ist.

Wir haben die Kunstwerkstatt, das Minoritenkloster, das Schiele-Museum, jede Menge öffentlich nutzbarer Freiflächen – da ist schon einiges an Infrastruktur da. Wir haben leerstehende Geschäfte und auch die eine oder andere Halle, die nicht genutzt wird.

Ich kann mich noch gut an die Diskussionen erinnern, als Herrmann Nitsch hier ausgestellt hat.. da sind die Wellen der Empörung hoch gegangen, wie man denn „so etwas“ in Tulln ausstellen könne… es sind sogar Mitglieder der Kunstwerkstatt aus Protest ausgetreten aus diesem Verein… jetzt, ein paar Jahre später hat ihm das Land ein eigenes Museum ermöglicht… die niederösterreichische Kulturpolitik hat mittlerweile erkannt, dass es sich lohnt, sich mit zeitgenössischer Kunst auseinanderzusetzen… und die Tullner Bürgermeister haben doch traditionell ein sehr gutes Verhältnis zum Land und zum Landeshauptmann… vielleicht geht der jetzige Tullner Bürgermeister ja als jener in die Geschichte ein, der die Stadt in Richtung zeitgenössischer Kunst geöffnet und geprägt hat…

Im Moment läuft ja gerade eine Diskussion darüber, wie die Stadt mehr daraus machen kann, dass Egon Schiele hier geboren ist. Die Schiele-Torte haben wir schon, das Schiele-Häferl wird genauso folgen wie der Schlüsselanhänger… wer weiß, vielleicht sogar das Schiele-Handtuch mit jenen unzüchtiger Zeichnungen, wegen derer er damals im Häfen gesessen ist. Soll sein,.

Aber wer sagt, dass im Tullner Souvenirshop nicht auch Arbeiten lokaler Kulturschaffender angeboten werden könnten? Warum gehen wir davon aus, dass Touristen nur an Kitsch interessiert sind? Was wäre, wenn das nicht so ist? Warum nicht einfach versuchen?

Tulln hat das gleiche Problem wie andere Städte dieser Größenordnung. Unsere Städte werden einander immer ähnlicher, überall die gleichen Geschäfte der gleichen Ketten und Konzerne, kaum etwas Individualität. Die versuchen Gemeindepolitiker allerorts dann mit aufwändigen Stadtmarketingkonzepten zu finden, da werden dann sogenannte Alleinstellungsmerkmale gesucht, mit denen wir uns von anderen unterscheiden. Was wäre, wenn die Stadt Tulln dabei auf zeitgenössische Kunst setzt? Und dabei jene Kulturschaffenden einbezieht, die in dieser Stadt leben? Das wär doch eine schöne Vision, oder?

3 Gedanken zu “WIR-KWT-ERÖFFNUNGSREDE von RAINER FRIEDL”

  1. eine tolle Rede mit großartigem Überraschungseffekt. Danke, es wer beeindruckend.

  2. Eine wundervoll Rede und tiefgreifende Wortspielereien!

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